Dienstag, 6. März 2012

Menschen in Seenot


Die Politik der Flüchtlingsabwehr erreicht immer extremer Züge, man zeigt Mitgefühl und Hilfsbereitschaft nur für die Passagiere eines Ozeanriesen, für die Menschen auf den Flüchtlingsschiffen gilt das meist nicht.

Ebendiese unterschiedlichen Empathien der Deutschen und Europäer sind eine Ausdrucksform ihrer gruppenbezogenen Sozialisation, die sich zunehmend sozildarwinistisch definiert und dadurch zu einem rassistischen Gewaltakt wird. Die Herzen der christlichen Abendländer sind jetzt wirklich hart geworden. Während man das Schicksal der Costa Concordia mit voller Anteilnahme beehrt und die Rettungsmaßnahmen wohlwollend mit noch mehr Mitgefühl begleitet, wird sich über den Kapitän des Schiffes empört,  weil er ein Hallodri ist der wenig Interesse an den Rettungsmaßnahmen seiner Schutzbefohlenen zeigt. Jede Einzelheit des privaten Schiffslebens des Kapitäns Francesco Schettino wird veröffentlicht und Feuilletonisten sind aufgerufen, dem Unglück eine tiefere Bedeutung zu geben. Spiegel online meint „ Es durfte nicht, aber es ist geschehen. Damit hat das Unglück vor Giglio auch den Menschen etwas genommen, die gar nicht an Bord waren: die Illusion totaler Sicherheit im schwimmenden Wunderland.“ Ein anderer Erklärte (Matthias Politycki) in der Kulturzeit „den Verlust von Vaterfiguren (1)“. Politycki erklärt uns ganz  Bedeutungsschwer die Gesellschaftlichen Gegensätze  auf Luxusschiffen,  die dominierende Hotelmanager, das unmündige eingeengte Personal und den unbedeutenden gelangweilten auf Show und Hollywoodauftritten reduzierten Traumschiffkapitän.

Wenn der Kapitän eines Ozeanriesen auf einen Winke – August beschränkt wird, ist das Abendland in Gefahr. Das Abendland wird sich selbst verlustig, in der begleiteten Werte- Diskussion dreht man sich immer mehr im Kreis auf der Suche nach Übervätern und Helden.
In manchmal durchaus differenzierten  Debatten,  Talkrunden usw. werden Helden z. B. der preußischen Geschichte bemüht, Friedrich der Große dessen Geburtsjahr sich zum 300mal jährt wird zitiert, ein Freigeist sei er gewesen und seine dienende Pflicht gegen über den Staat, Beispiel gebend (2).  Dass er ein militärischer Hasadeur und Kriegstreiber war wird nur beiläufig erwähnt. Neben bei werden der Jugend und andere Berufjugendlichen mythologische Helden in Filmen und Fantasy-Romanen durch die Kulturindustrie versucht, - hier zeigt sich nicht nur die Sehnsucht nach einer archaischen Naturromantik mit einen Schuss Neuheidentum, sondern die auch in der Genre begründete Gewaltbereitschaft in der die verschiedenen ethnischen Akteure bestimmte Charaktereigenschaften zu gebilligt werden z.B. die Orcks (schwarz und böse)  und die Elben (weiß und gut) wie in den sehr polemischen  Film Herr der Ringe. Solche Filme leisten durchaus ihren Beitrag zur rassistischen Identifikation und Randale.

Menschen in Seenot, die als Flüchtlinge und MigrantInnen mit abenteuerlichen Pötten nach Europa wollen, werden als nichtweiße und artfremde Charaktere beschrieben, beschimpft, ignoriert, bedroht, in Lagern interniert und abgeschoben. So wurden Flüchtlingsschiffe die Anlandung an das europäische Festland untersagt, havarierten Schiffen wird die Seenotrettung verweigert.
Das diese Menschen durchaus mutig handeln um nach Europa zu kommen, komm in den Wertekanon der Feuilletonisten,  Philosophen und des deutschen und europäischen Volksmenschen gar nicht vor, vielmehr bedauern sie ihr eigenes Schicksal und klagen über den Werteverfall.

Anfang April 2011, zum Beispiel, kentert in der Nähe der italienischen Insel Lampedusa in völlig überladenen Fischerbooten mit mehr als 250 Flüchtlingen an Bord, das in Libyen gestartet war. Das Unglück ereignete sich nachts bei schwerem Sturm, an Bord waren auch Kleinkinder. 51 Menschen konnten lebend geborgen werden. ‚Der Tod von mehr als 200 Menschen wäre vermeidbar gewesen, wenn die Behörden ernsthafte Rettungsaktionen unternommen hätten’ sagte der ehemalige Kapitän der Cap Anamur, Stefan Schmidt. Der Ablauf der Rettungsaktion sei ‚ein Skandal’ gewesen und habe in ‚keiner Weise’ den geltenden internationalen Standards für Seenotrettung entsprochen. ….

Ende März 2011, so berichtet im vergangenen Mai der britische Guardian, ignorierten Schiffe der Nato die Hilferufe eines beschädigten Flüchtlingsbootes, das aus Libyen kam und wegen Treibstoffmangels insgesamt 16 Tage auf offener See trieb. Ein Militärhubschrauber warf zwar Kekse und Wasserbehälter für die Insassen ab, doch zu ihrer Rettung wurde nichts unternommen. Ein Flugzeugträger, der sich in Sichtweite befand, reagierte nicht. „Jeden Tag wachen wir auf und fanden neue Leichen, die wir nach 24 Stunden über Bord warfen“, zitierte der Bericht einer Überlebenden. 61 Menschen verdursteten, die Nato wies selbstverständlich jede Verantwortung zurück.
Am. 4. August 2011 stieß die italienische Küstenwache südlich der Insel Lampedusa auf ein 20 Meter langes havariertes Holzboot mit fast 300 Flüchtlingen, das seit einer Woche mit defektem Motor auf dem Meer trieb. An die hundert Insassen waren bereits an Durst und Erschöpfung gestorben, die Leichen hatte man über Bord geworfen. Die Überlebenden waren stark dehydriert, schwebten teilweise in Lebensgefahr und wurden in Krankenhäuser auf dem italienischen Festland geflogen: Später stellte sich heraus, dass das Boot schon frühzeitig von einem zyprischen Schlepper entdeckt worden war. Dieser funkte ein SOS-Signal, fuhr aber weiter. Die daraufhin von der italienischen Küstenwache alarmierte Nato lehnte es ab, den Flüchtlingen zu helfen, obwohl eines ihrer Schiffe in nur 27 Seemeilen (etwa 50 km) Entfernung unterwegs war. Der italienische Außenminister Franco Frattini warf der Nato deshalb unterlassene Hilfeleistung vor (3)
Nato Schiffe die zwar ein Volk (Libyen)  befreien helfen aber die Seenotrettung verweigern, sind also der Maßstab zweier extremen Gegensätze, die sich gegenseitig beklatschen.

Die Asylsuchenden und MigrantInnen werden wohl noch in der Zukunft von Menschjägern gejagt und abgeschoben. Gekenterte Flüchtlingsschiffe werden in der Regel der deutschen und europäischen Härte entsprechend ihrem Schicksal überlassen. So schauen deutsche und europäische Empfindlichkeiten aus man schiebt ab was geht, verweigert die Seenotrettung und sehnt sich dabei nach Elben, verantwortungsbewußte und  souveräne (Traum) Schiffkapitäne und eben Könige. Bzw. nach einem Bundespräsidenten wie Gauck, der als Bürgerrechtler zwar sehr viel über die Gefährlichkeit des Kommunismus sagt, aber zu den Flüchtlingen und deren Menschrechte schweigt.

Die Menschen aus Seenot zu retten, ist das mindeste was eine annähernd aufgeklärte bürgerlich demokratische und christlich – jüdisch zivilisierte Welt zu leisten im Stande ist, jedoch wo sich nationale Engstirnigkeit, Rassendünkel und Neuheidentum sich breit macht, ist Entsolidarisierung an der Tagesordnung. Deutschland ist mit seiner Abschiebepolitik ein Vorreiter der rassistischen Randale in Europa.

Auch in der Oberpfalz wird Stimmung gemacht gegen Asylsuchende und MigrantInnen, nicht nur von den üblichen verdächtigen (Nazischurken und Rechtsradikalen) sondern auch von gutbürgerlichen satten Deutschen. Wen ein Asylbewerberheim eröffnet wird, macht sich erst einmal im Ort die ‚German – Angst’  breit (4). Diese Angst kommt so scheint es daher, wie ein Orkan, in der die Entmenschlichung offenbar die Stimmung vorgibt. Diese gruppenbezogene Bevorzugung der Nahverwandten gilt es zu überwinden, damit der Mensch ein Mensch bleibt und  Menschlichkeit  erleben kann  muss er für die Welt da draußen und daheim offen sein.

Man kann nur hoffen, dass  Solidarität und Mitgefühl für die Asylsuchenden dort und anderswo entsteht, denn das ist die beste Antwort gegen Vorurteile.

Antifagruppe Weiden Neustadt

PS:
Es gibt weltweit Millionen von Personen, die aufgrund eines Krieges, einer Naturkatastrophe, aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer politischen und kulturellen Vorstellungen zu Flüchtlingen werden. Sie suchen Zuflucht in sog. Aufnahmeländern, doch oftmals kommen sie vom Regen in die Traufe. Zwar gibt es diverse Organisationen, die sich um sie kümmern, aber dies reicht leider nicht aus.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte äußert sich wiederholt zu den menschenunwürdigen Bedingungen in den Sammellagern und während der Reisen der Flüchtlinge. Fast jedes europäische Land wird vom Gerichtshof stark kritisiert (5).

Es gibt also Hoffnung, dass die Welt wieder etwas zivilisierter wird.

Dass es Hoffnung gibt, zeigen antirassistische AktivistInnen des Netz­werks Afrique-Europe-Interact.

Kurz vor Ab­flug der Air France Ma­schine be­merkten die Ak­ti­visten einen ge­fes­selten, von Po­li­zisten um­ringten Afri­kaner in den hin­teren Reihen, der au­gen­schein­lich ab­ge­schoben werden sollte. Dar­aufhin ver­hin­derten die Mit­glieder des an­ti­ras­sis­ti­schen Netz­werks Afrique-Europe-Interact und auch ei­nige an­dere Flug­gäste den Start des Flug­zeuges, indem sie sich wei­gerten ihre Plätze ein­zu­nehmen. Dem Pi­loten blieb nichts an­deres übrig als den Start ab­zu­bre­chen und die Po­lizei zu alarmieren (6).
Die taz zi­tiert in einem Ar­tikel einen der Rei­senden: „Wir haben Schreie aus der letzten Reihe ge­hört und dann ge­sehen, wie zwei Po­li­zisten das Ge­sicht des Ge­fes­selten auf seine Knie ge­drückt haben.“ In einem ähn­li­chen Fall war 1999 der su­da­ne­si­sche Flücht­ling Aamir Ageeb ums Leben ge­kommen. BGS-Beamte hatten den Mann in einer Lufthansa-Maschine noch am Frank­furter Flug­hafen durch „mas­sives Nie­der­drü­cken“ er­stickt. Ein Fall, der den Ak­ti­visten, die in Paris auf­standen, si­cher­lich nicht un­be­kannt ge­wesen ist. Aus dem Air-France-Flugzeug wurden 14 Pro­tes­tie­rende von Po­li­zisten in Kampf­montur ab­ge­führt und bis Mit­ter­nacht im Flug­ha­fen­ge­fängnis fest­ge­halten. Die Ab­schie­bung hatten sie mit ihrer Ak­tion je­doch ver­hin­dert. Der ver­spä­tete Flug ver­ließ Paris letzt­lich ohne den von Ab­schie­bung be­drohten Mann..

Fischtrawler rettet rund hundert Flüchtlinge von Boot 

Rom – Ein italienischer Fischtrawler hat im Mittelmeer mehr als hundert Menschen von einem leckgeschlagenen Flüchtlingsboot gerettet. Unter den insgesamt 103 Flüchtlingen befänden sich 21 Frauen und ein Kind, teilte die italienische Küstenwache mit. Die Menschen seien auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa gebracht und dort in einem Flüchtlingslager untergebracht worden. Es gehe ihnen den Umständen entsprechend gut, erklärte die Küstenwache (7). Man kann nur hoffen, dass die Flüchtlinge bald ein Bleiberecht bekommen und frei reisen können.

Anhang:
(1)


(2)


(3)
Darwin ahoi!

(4)
Zwar warnt der Bürgermeister vor Vorurteilen, aber wie die Überschrift des Textes schon ankündigt, wird eine negative Tendenz der Einheimischen gegenüber den Asylsuchenden leider sichtbar.

(5)

(6)

(7)

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